Sonntag, 14. Juni 2015

Go down Mose ... - Eine Predigterzählung zu Matthäus 5, 12-16

Predigterzählung anlässlich des Gottesdienstes am 26.07.2015 in Freiberg-Heutingsheim


„Liebe Gemeinde, was macht mich zu einem guten Christ?
Ich weiß nicht wie es Ihnen geht, aber ich selbst stelle mir immer wieder diese Frage.
Was macht uns zu einer guten Christin, zu einem guten Christ?
Die Jüngerinnen und Jünger Jesu hatten es da gut.
Sie hatten den Rabbi, ihren Lehrer direkt vor sich.
Denen muss es ja sicherlich klar gewesen sein, was es bedeutet eine gute Christin oder ein guter Christ zu sein. --- Sollte man meinen.
Dass es auch unter den ersten Christen dieselbe Unsicherheit gab, wie bei uns hier und heute, wird uns klar wenn wir auf den heutigen Predigttext hören.
Mit unserem Predigttext richtet sich Jesus an seine Jüngerinnen und Jünger:
Ich lese aus Matthäus 5,13-16
Salz und Licht
13 Ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen? Es ist zu nichts mehr nütze, als dass man es wegschüttet und lässt es von den Leuten zertreten. 14 Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein. 15 Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es allen, die im Hause sind. 16 So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.
Jesus hat seine Informationen wieder einmal in eine sehr bildhafte Rede gepackt.
Vom Salz der Erde, vom Licht der Welt, von der Stadt auf dem Berg ist hier die Rede.
Eine Rede von Wichtigkeit – wichtig wie das Salz der Erde
Eine Rede von Wegweisung – Wegweisung durch ein Licht in der Dunkelheit
Eine Rede von Erkennbarkeit – Erkennbar wie die Stadt auf dem Berg.
Eine Rede von Schutz – Behütet wie hinter den Mauern der befestigten Stadt.

Wie kann sich unser Predigttext im menschlichen Leben wiederspiegeln?
Wiederspiegeln im Alltag der Menschen?
Dem Alltag mit Last und Hilfe,
mit Arbeit und Erholung,
mit Schmerzen und Glück,
mit Freud und Leid,
mit Flucht und Ankommen.
Unserem Alltag mit all seinen Veränderungen,
Wie spiegelt sich im heutigen Predigtext unser Umgang mit dem Leid anderer wieder?
Wie mit dem Leid der Flüchtlinge, die aus den Krisengebieten der Welt zu uns kommen?
Diesen Männern, Frauen und Kindern, die bei uns Schutz vor der Gewalt und Willkür in Ihrer Heimat suchen.

Vielleicht kann meine heutige Erzählung ein wenig dazu beitragen eine Verbindung herzustellen,
eine Verbindung zwischen unserem, von Frieden und Sicherheit geprägten Leben, mit dem Leben unserer Mitmenschen,
denen es nicht so gut geht wie uns.
Bei denen Krieg und Gewalt an der Tagesordnung sind.

Meine Erzählung spielt zwar vor über 150 Jahren,
doch Zeiten voller Gewalt,
voller Angst,
Zeiten der Flucht,
des „Alles-hinter-sich-lassens“,
des „abgelehnt-sein´s“
sind heute noch genauso schmerzhaft wie damals.

Ich lade Sie ein sich nun zurück zu lehnen und mit mir auf eine kleine Zeitreise zu gehen…

Wir befinden uns um das Jahr 1855.
Vor zwei Tagen sind wir mit unserem Einwanderer-Segelschiff in New York angekommen.
Gemeinsam mit rund 200 Passagieren hatten wir den 2-Master verlassen, der die letzten 45 Tage unser Zuhause auf See gewesen war.
Mit der hochmodernen Eisenbahn ging es auf der „Pennsylvania Railroad“ nach Philadelphia, der Hauptstadt von Pennsylvania.
Die Stadt Philadelphia ist 1855 bereits fester Bestandsteil der Entstehungsgeschichte der USA.
Es ist gerade mal 80 Jahre her, dass hier auf dem Independence Square (Unabhängigkeitsplatz), zum Klang der Freiheitsglocke die Unabhängigkeitserklärung verlesen wurde.

Buntes Treiben herrscht an diesem Sommermorgen in der Stadt.
Es fällt auf, dass viele Farbige hier leben.
Pennsylvania ist der südlichste der Nordstaaten.
Sklaverei gibt es hier nicht.
Nur einen Steinwurf weit entfernt ist das völlig anders.
Im Nachbarstaat Maryland ist Sklavenhaltung erlaubt und wird dort in unmenschlicher Art und Weise ausgeübt.

Die schrecklichen Zustände haben mittlerer Weile farbige und weiße Sklavereigegner auf den Plan gerufen, die um die Abschaffung der Sklaverei kämpfen.
Hier in Philadelphia ist eine der ersten Anlaufstellen derjenigen armen Seelen, die es geschafft haben ihren Herren zu entfliehen.

Doch lassen sie uns nun hineinspazieren in das bunte Getümmel der Stadt am Delaware-River:
Die Verkaufsbuden am Hafen sind gut besucht.
Neben Matrosen, die mit dem Entladen der Handelsschiffe beschäftigt sind, sieht man Frauen und Kinder.
Sie sind mit Karren unterwegs, um ihre  selbstgekochten oder gebackenen Lebensmittel an den Mann oder die Frau zu bringen.
Hier gibt es alles Mögliche zu kaufen.
Ein dunkelhäutiger Mann Mitte 50 bietet an seinem Stand Stoffe in allen erdenklichen Farben an.
Eine junge Dame aus besserem Hause hat Interesse an einem fein gewobenen Stoff und fragt den Händler nach dem Preis.
„Das sind aber gesalzene Preise!“ empört lässt die junge Dame das Tuch, das sie eben noch freudenstrahlend begutachtet hatte, zurück auf den Tisch des Händlers fallen.
„Aber Mademoiselle, das ist echte chinesische Seide.
Ich bin bereits seit Monaten unterwegs nur um diesen herrlichen Stoff zu Ihnen zu bringen.
Genau wie Sie ist er etwas ganz Besonderes und Edles.
Stellen Sie sich vor, welch prunkvolles Gewand Sie sich daraus schneidern lassen könnten.
Es würde Ihre natürliche Schönheit noch untermalen und Sie zum Mittelpunkt eines jeden Balls werden lassen!“
Rebecca, die junge Dame zeigt sich wenig beeindruckt, von den Worten des Händlers.
„Halsabschneider!“ ruft sie Ihm entgegen, „Das Tuch stammt doch im Leben nicht aus China! – Nenne mir einen ordentlichen Preis, dann werde ich dich vielleicht nicht bei der Marktaufsicht melden und du kannst deine „Chinesische Seide“ weiter an arglose Dämchen verkaufen!“

„Verzeiht … ich wusste ja nicht …“
der Händler mit der dunklen Hautfarbe scheint ganz blass geworden, stammelt und sucht nach Worten, um aus dieser misslichen Situation mit heiler Haut heraus zu kommen.
Immerhin ist er fremd in der Stadt.
Die junge Frau vor ihm scheint wohlhabend zu sein und hat sicher erheblichen Einfluss.

„Gibt es hier ein Problem?“
eine hagere farbige Frau nähert sich von der Seite dem Verkaufsstand.
Sie legt der jungen Miss die Hand auf die Schulter und hält sie fest.
Die Frau hat die 30 Jahre lange hinter sich und wird wohl bald die 40 Jahre erreicht haben.
Ihr Gesicht ist leicht ungleichmäßig.
Ihr Kopf unter der blauen Haube wirkt etwas verformt.

Dem Verkäufer bleibt vor Fassungslosigkeit der Mund offen stehen.
Wie kann sie es wagen, die junge Dame zu maßregeln und dann auch noch anzufassen.
Bei dieser Aktion bleibt ihm fast das Herz stehen.
Rebecca dreht sich mit einem Ruck um. Sie ist jetzt richtig in Fahrt und will dieser unverschämten Person jetzt erst einmal die Meinung sagen.

Liebevolle Augen blicken mit gespielter Strenge auf Rebecca.
Da schlägt Rebby´s Stimmung plötzlich um und sie jauchst: „Tante Minty!“

Vergessen sind die gesalzenen Preise des Händlers,
vergessen ist die Chinesische Seide
Rebecca hat nur noch Augen für Ihre „Tante Minty“.

„Lass uns nach Hause gehen“, sagt Tante Minty nach der überschwänglichen Begrüßung „Ich möchte mit deinem Vater sprechen.“

„Hast du wieder Besuch mitgebracht?“
„Ja, - aber alles zu seiner Zeit …“

Wir verlassen die Hafengegend und folgen den beiden.
Nach wenigen Minuten erreichen wir einen schattigen Seitenhof, indem eine Kutsche unter der Krone einer mächtigen Eiche abgestellt wurde.


Auf dem Kutschbock sitzt zusammengesunken der Kutscher.
Er hatte die Pferde versorgt und wartete nun auf die Rückkehr seiner „Miss Rebby“.
Im Schatten der Eiche war er dann eingedöst.

„George, wach auf – sieh wen ich hier mitgebracht habe!“

Langsam hebt George sein schweres Haupt.
Seine kurzen grauen Locken umrahmen sein pechschwarzes Gesicht.
Freundlich blickt er die beiden an.
 „Einen Augenblick, bitte“
George steigt vom Kutschbock herunter und begrüßt die beiden mit der Herzlichkeit alter Freunde, die sich lange nicht gesehen haben.

„Bring uns bitte zu Master Garrett. Ich habe etwas Wichtiges mit ihm zu besprechen“ wendet sich Tante Minty an den Kutscher.
„Dein Vater wird sich freuen, wenn er sieht wen wir da zu Besuch mitgebracht haben!“ wendet sich George an Rebby, die neben Tante Minty in der Kutsche Platz genommen hat.

Als die Kutsche aus dem Hof herausfährt, erhascht Rebby noch einen Blick auf den Hafen, wo die Mastspitzen der Schiffe in der Mittagssonne tanzen..

Wir nehmen uns ebenfalls eine Kutsche und folgen den dreien.
Nach rund 30 Minuten kommen wir auf dem Anwesen der Familie Garrett an.
Das Herrenhaus ist sehr belebt.
Überall sind Bedienstete bei der Arbeit.
Viele von Ihnen sind Farbige, ehemalige Sklaven, die es in die freien Nordstaaten der USA geschafft haben.

Hier im Norden ist alles anders.


Hier werden Sie für Ihre Arbeit mit Geld entlohnt und nicht mit Prügeln.
Hier dürfen sie in richtigen Häusern wohnen – nicht in schmutzigen Holzhütten.
Hier dürfen sie in echten Betten schlafen – nicht auf dem blanken, lehmgestampften, kalten und feuchten Fußboden.
Kinder tragen hier sogar Kleidung – müssen nicht wie im Süden nackt oder in Lumpen der Kälte trotzen.
Sie werden hier nicht für jeden kleinen Fehler fast totgeprügelt.
Hier sind sie nicht der Willkür ihrer Herrschaften ausgesetzt;
den Herrschaften, die mit ihnen umgehen dürfen, wie es ihnen beliebt.
Den Herrschaften, die sie wie eine Kuh oder ein Pferd an andere Farmer vermieten, wo sie bis zum Umfallen von Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang schuften müssen.
Wo sie schlecht ernährt und noch schlechter behandelt werden.
Wo sie tagtäglich den Gewaltausbrüchen des Herrn oder der Herrin des Hauses ausgeliefert sind.
Die ehemaligen Sklaven hier im Norden sind zwar nicht vermögend, dennoch fühlen sie sich wie Könige – denn sie sind endlich frei!

Nachdenklich blickt Tante Minty auf das Geschehen.
Auch Sie teilt das Los der Sklaverei.
Auch Tante Minty wurde als Tochter einer Sklavin geboren und war somit von Geburt an versklavt.
So war sie als Kind von 6 Jahren an eine andere Farmerfamilie einfach vermietet worden. Vermietet, wie man eine Kuh, einen Esel oder ein Pferd vermieten würde.


Auch sie war der Gewalttaten der Herrschaften ausgesetzt und litt ein Leben lang unter den Folgen dieser Gewalt.
Besonders unter einigen Schlägen, die sie in jungen Jahren erhalten hatte. Mit einem Holzknüppel hatte die Herrin ihr auf den Kopf geschlagen, weil Minty es nicht gelang das Baby der Herrin zu beruhigen.
Ihre Schädeldecke war gebrochen und Minty dem Tode näher als dem Leben.


Doch ihr Glaube gab ihr Kraft und sie überlebte.
Sie überlebte und wurde stärker denn je.
Sie folgte Gottes Ruf.
Gottes Ruf nach Freiheit für sie und für die Freiheit aller Sklaven. 
So gelang ihr die Flucht in den Norden.

An diesem sonnigen Tag war sie eben wieder zurückgekehrt.
Sie hatte „Besuch“ mitgebracht.
Wieder war es ihr gelungen einige Sklaven aus dem Süden in die Freiheit zu führen.
Dieses Mal wäre sie beinahe nicht mehr zurückgekommen.

„Willkommen Minty, wie war deine Reise…?“ der Herr des Hauses, Thomas Garrett begrüßt seine Freundin mit großer Herzlichkeit.

Thomas Garrett war, wie seine gesamte Familie ein Gegner der Sklaverei.
Mit anderen weißen und farbigen Mitstreitern waren sie Teil eines riesigen Fluchthelfer-Netzwerks.
Die Eisenbahn war damals das Zeichen für die moderne Zeit.
Mit ihr war man so mobil wie nie zuvor.
In kürzester Zeit konnte man nun fast jedes Ziel erreichen.
Für viele Menschen wurde die Eisenbahn der Schlüssel, der die Tür zu einem neuen Leben öffnete,
zum Schlüssel für die Tür in die Freiheit.
Das Fluchthelfer-Netzwerk konnte daher kaum einen treffenderen Namen bekommen: „Underground-Railroad“; also „ Bahnlinie im Untergrund“.
Eine Art „Bahnlinie in die Freiheit“ für entlaufene Sklaven - nur halt ohne Schienen. 


Die Underground-Railroad“ bestand
aus geheimen Wegen, um den Sklavenjägern nicht in die Hände zu fallen,
aus  sicheren Häusern, um auszuruhen und neue Kräfte zu sammeln
und natürlich aus vielen Mitmenschen, die sich selbst in Gefahr begaben indem sie entflohene Sklaven Obdach gewährten und mithalfen sie  in den halbwegs sicheren Norden zu transportieren.

Besonders gefährlich war dies für ehemalige Sklaven wie Minty.
In den Südstaaten war sie, dem Gesetz nach, immer noch Sklavin.
Jedermann hätte sie aufgreifen und ihrem Herrn überstellen dürfen.
Mit Sicherheit hätte sie dies nicht überlebt.
Daher hatte sie auch ihren Namen geändert.
Sie war als Araminta Ross geboren. Daher auch ihr Spitzname „Minty“
Nachdem sie geheiratet hatte, änderte Sie Ihren Namen in  Harriet;
Harriet Tubman.
Thomas Garrett und Harriet Tubman gehörten zu den „Schaffnern“ der „Underground-Railroad“.


„Gott hat wieder seine schützende Hand über mich gehalten“, erzählt Minty.
„Was war geschehen?“ Thomas Garrett blickt sorgenvoll auf seine Freundin.
„Ich saß im Zug nach Dorchester County.
Dort wollte ich mich mitten im Sklavengebiet mit einem Kontaktmann treffen.
Plötzlich sah ich einen Mann auf mich zu kommen, an den ich früher einmal vermietet worden war.
Der hätte mich bestimmt erkannt, wenn nicht etwas Wunderbares geschehen wäre.“
„Etwas Wunderbares?“ Thomas Garrett schaut sie verwundert an.
„Ja, etwas wirklich Wunderbares.
Ich hatte zwei Hühner auf dem Schoß.
Die waren mit einer Schnur an den Füßen zusammen gebunden.
Als ich den Mann sah, flatterten plötzlich die Hühner auf … direkt vor meinem Gesicht. So konnte er mich nicht erkennen.“

„Meine liebe Minty, du bist wirklich von Gott behütet!“

„Über meinen Kontaktmann, konnte ich wieder einige Aufseher bestechen und drei Kinder die verkauft werden sollten, zusammen mit ihrer Mutter herausführen.
Den Vater haben wir zusammen mit einer kleinen Gruppe junger Männer unterwegs an einem vereinbarten Ort abgeholt.
Einmal hatten wir Sklavenjäger mit ihren Bluthunden gehört, aber die waren weit entfernt.
Wir sind durch das Sumpfgebiet und den Wald marschiert, haben gebetet und sind letztlich wohlbehalten hier angekommen.“

„Minty, du bist ein Werkzeug Christi!“

Du lässt unser Licht leuchten vor den Leuten,
damit sie unsere guten Werke sehen
und unseren Vater im Himmel preisen.

So erfüllst du die Weisungen unseres Herrn Jesus Christus.

Weißt du wie dich die Leute neuerdings nennen?“

 Minty blickt ihn neugierig an

„Sie nennen dich Mose.
Du bist für die Menschen die große Befreierin geworden.
Wie Mose, führst du unter Gottes Schutz dein Volk in die Freiheit ...“

Wir verlassen nun Herriet „Minty“ Tubman und Thomas Garrett, denn die beiden haben sicher noch viel zu besprechen, da wollen wir nicht stören ….

Einige Monate später hat Minty etwas Geld angespart und ist wieder unterwegs in Maryland, dem nördlichsten der Sklavenstaaten der USA.

Als Sie in der Postkutsche an den Plantagen vorüberfährt, hört sie leisen Gesang.
Sie spürt, der Gesang ist an sie gerichtet.
Sie, die einst die kleine, misshandelte Minty war,
sie ist zum Lichtschein in der Dunkelheit,
zur Festung, zur festen Stadt in aller Drangsal geworden.
Sie ist jetzt das Salz;
das Salz das dem Freiheitsdrang der gepeinigten Sklaven die nötige Würze und Kraft verleiht.
„Go down Moses ..“ so singen die Sklaven auf dem Feld.

Minty könnte sich in der Sicherheit ihrer neuen Heimat zurücklehnen.
Doch sie hat Gottes Stimme vernommen und so wird sie hinunter gehen, immer und immer wieder.
Sie wird hinunter gehen in den Süden trotz aller Gefahr für ihre eigene Freiheit, für ihr eigenes Leben.
Sie wird hinunter gehen unter Gottes schützender Hand
Hinunter gehen mit dem einen Ziel vor Augen.
Dem Ziel all ihre versklavten Schwestern und Brüder frei zu sehen
Dem Ziel, dass die ehemaligen Herrschaften ihr Volk gehen lassen.
 „Go down Moses … to let my people go ..“

(Harriet Tubman steht am äußersten linken Rand, sitzend mit Stock ihr Mann Davis, und neben Tubman steht die später adoptierte Tochter Gertie Tubman, Aufnahme etwa um 1887 vor Harriet Tubmans Haus in Auburn - Quelle: Wikipedia)


Mit Hilfe der „Underground Railroad“ gelang rund 100.000 Sklaven die Flucht in die Freiheit.
Minty wagte sich in 13 Jahren noch rund 19 Mal in die Sklavenhölle von Maryland. Sie alleine führte über 70 Menschen in die Freiheit.
Umgeben von Freunden und Familienmitgliedern verstarb Harriet Tubman, am Ende ihres von Gott getragenen irdischen Lebens, am 10. März 1913 im hohen Alter von 93 Jahren.



Was hat diese Geschichte mit uns heute zu tun?

Sklaverei gibt es doch nicht mehr!

Ein Blick in die Heimat vieler Flüchtlinge belehrt uns eines Besseren.

Gewaltexzesse, Mord, Entführungen sind dort an der Tagesordnung.
Unvergessen sind die Berichte über die hunderten entführter Mädchen, die nun als Ehesklavinnen dienen müssen.

Die aus diesem Unrecht entstandenen Flüchtlingswellen, stellen uns vor große Herausforderungen.

Ich denke jedoch wir alle sind gefordert nicht nur den Aufwand und die Kosten zu sehen, sondern auch den Gewinn.
Den Gewinn für die Flüchtlinge, die endlich ihr Recht auf ein lebenswertes Leben bekommen
den Gewinn für unser Land, das durch neue Eindrücke, neue Traditionen, neue Lebensweisen wachsen kann.
Und den Gewinn für unser Herz, das Menschlichkeit erfährt.

Damit unser Herz zu spüren bekommt,
dass wir selbst das Salz der Erde,
die Stadt auf dem Berg,
das Licht auf dem Leuchter werden können…

… Und vielleicht um selbst  ein bisschen ... „Mose“ zu sein. - AMEN

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Links zum Thema:

                                                                                                                                                                                                                                                                                               
Thomas Garrett (englisch)

Montag, 13. April 2015

Ich glaube nur was ich sehe. Erzählpredigt zu Johannes 20, 19-29


Erzählpredigt zu Johannes 20, 19-29 
Die Vollmacht der Jünger
19 Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch! 20 Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen. 21 Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. 22 Und als er das gesagt hatte, blies er sie an und spricht zu ihnen: Nehmt hin den Heiligen Geist! 23 Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.
Thomas
24 Thomas aber, der Zwilling genannt wird, einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. 25 Da sagten die andern Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meinen Finger in die Nägelmale lege und meine Hand in seine Seite lege, kann ich's nicht glauben. 26 Und nach acht Tagen waren seine Jünger abermals drinnen versammelt und Thomas war bei ihnen. Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und tritt mitten unter sie und spricht: Friede sei mit euch! 27 Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! 28 Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott! 29 Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!
 

Liebe Gemeinde,
der Apostel Thomas, konnte es nicht glauben, als seine Mitjüngerinnen und Mitjünger ihm von Jesus Auferstehung erzählten. Er musste es mit eigenen Augen sehen und mit eigenen Händen fühlen.
Vielen Menschen geht es ähnlich. 
Wie in der Geschichte die ich Ihnen heute mitgebracht habe. Der Geschichte eines jungen Mannes und einer jungen Frau. Der Geschichte von Marie und Andreas. 
Ich glaube nur was ich sehe
Nur noch wenige Meter, dann wird Andreas endlich zuhause sein. Regen fällt. In Strömen fließt das Wasser an seinem Kopf herunter über sein Gesicht. Sein Blick verschwommen, vom Regen  --- und von Tränen.
Es ist eine warme Sommernacht nach einem heißen Tag. Der Regen bringt Kühlung und tut gut. Doch heute ist das nicht wichtig. Heute ist der Regen ein Schutzmantel. Niemand soll sehen, dass er weint. Er will kein Bedauern, er will keine Fragen beantworten, er will einfach nur nach Hause. Im Schutz seiner Wohnung will er zur Ruhe kommen, will darüber nachdenken, wie es so weit kommen konnte, wie es weitergehen soll. Es ist doch erst zwei Tage her, seit es passiert ist …
Mit zitternden Fingern versucht er den Schlüssel in das Schlüsselloch seiner Haustüre zu stecken. Die schwere Eichentüre an dem alten Haus ist reicht verziert. Links und rechts sind eingelassene Schnitzarbeiten von emporrankenden Pflanzen zu sehen. Sie bilden einen Bogen und treffen sich in der Mitte der Türe. Dort ist der Kopf eines Engels, der auf alle Besucher milde hernieder blickt.
Der Engel hat schon viele Menschen ein- und ausgehen gesehen in diesem alten Haus. 
Mit einem lauten Klacken, dreht sich der Schlüssel in dem alten Schloss. Trotz des Alters öffnet sich die Türe federleicht – kein Knarren und Quietschen, wie man es erwarten würde. Die alte Handwerkskunst hat bereits fast 200 Jahre überdauert.
Er tastet mit der linken Hand nach dem Lichtschalter. Die Elektrik des Hauses stammt aus den frühen 40er Jahren. Der Drehschalter der geräuschvoll das Aufleuchten der Lampe begleitet, war damals hoch modern. Damals … und heute? Heute ist diese Technik genauso veraltet, wie seine Einstellung zu Jesus noch heute Morgen war.
Jesus war ihm fremd gewesen; fremd geworden. Er kannte den Namen aus Kindertagen. Seine Großmutter hatte ihm davon erzählt. Aus seinen Erinnerungen wusste er nur noch, dass er wohl irgendwie mit dem Christkind verwand war. Später ist er von den Römern ans Kreuz geschlagen worden … oder von den Juden?
Er wusste das nicht mehr so genau. Es war ihm eigentlich auch egal. Was hatte er schon mit diesem Typ zu tun, der vor so langer Zeit in einem fernen Land hingerichtet worden war …? Das passiert doch jeden Tag zig Mal auf der Welt. Und ich kann sowieso nichts daran ändern. 
So war das noch an dem Morgen des Tages, an dem alles anders kam.
Seine Großmutter war früh gestorben. Er selbst hatte danach nie mehr eine Kirche von innen gesehen. 
Das war jetzt schon Jahre her. Zwischenzeitlich hatte er seine Jugendweihe gefeiert und den Militärdienst hinter sich gebracht. 
Seit einem halben Jahr arbeitete er nun in einer Motorenfabrik in Magdeburg. Bald darauf hatte er eine neue Kollegin bekommen. Marie war aus einem kleinen Ort in der Nähe von Leipzig nach Magdeburg gekommen. Er war sofort „Feuer und Flamme“ für die kleine Blonde mit der hübschen Stupsnase. So dauerte es auch nicht lange und die beiden trafen sich immer nach der Arbeit.
So spazierten sie oft an der Elbe entlang. Sie liebten es den Schiffen nachzuschauen und redeten über Gott und die Welt. Nun ja, eher nur um die Welt, denn er konnte mit Gott so gar nichts anfangen. „Ich glaube nur was ich sehe“, sagte er immer wenn sie zu diesem Thema kamen.
Beim „Tanz in den Mai“ im Maxim-Gorki-Saal kamen sich die beiden dann immer näher. So nah, dass für beide feststand: Wir wollen den Rest unseres Lebens miteinander verbringen.
Sie heirateten und zogen gemeinsam in eines der wenigen alten Häuser in Magdeburg, die sowohl vom zweite Weltkrieg, als auch der Erneuerungswelle der DDR verschont geblieben waren.
Das Haus hatte hohe Räume und Stuckverzierungen, die jedoch schon sehr in die Jahre gekommen waren. Die ehemals großen Wohnungen wurden in mehrere kleine unterteilt. Es stand pro Stockwerk nur eine Toilette zur Verfügung, die gemeinschaftlich genutzt wurde.
So lebten sie in ihrer Zwei-Raum-Wohnung das Leben eines jungen Liebespaars. Sie wussten genau wie ihr weiteres Leben aussehen würde. Mindestens zwei Kinder sollten es sein. Ein Junge und ein Mädchen natürlich. So dauerte es auch nicht lange und bei Marie kündigte sich durch morgendliche Übelkeit der Beginn ihrer Schwangerschaft an.
Eines Morgens wachte sie auf. Ihr Mann war bereits zur Frühschicht im Betrieb.
Irgendetwas stimmte nicht mit ihr. Sie hatte Schmerzen im Bauch, die bald den ganzen Körper ergriffen. 
Sie zitterte am ganzen Leib, als er am frühen Nachmittag von der Arbeit nach Hause kam.
„Was ist mit dir?“ fragte er voller Angst. Er bekam keine Antwort. Seine Frau lag zusammengekrümmt auf dem Bett und zitterte. Schweißperlen liefen ihr über das zarte Gesicht und färbten das Kopfkissen mit dunklen, feuchten Schatten.
Kurzentschlossen ging er nach unten. Sein Nachbar hatte ein Telefon. So rief er einen Krankenwagen.
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„Ihre Frau ist sehr krank“ der Oberarzt, der seinen weißen Kittel nur notdürftig zugebunden hatte, blickte ihn sorgenvoll an. „Sie müssen jetzt sehr stark sein; setzen sie sich besser …“ Er führte ihn in ein Nebenzimmer und wies ihm einen Platz auf einer Wartebank an. „Ihre Frau hatte heute einen schweren, fiebrigen Krampfanfall. Im Augenblick ist sie stabil, aber wir wissen nicht, ob sie wieder ganz gesund werden wird; und … Sie hat das Kind
verloren …“  Von einem Moment zum anderen brachen all seine Pläne um ihre Zukunft in sich zusammen.
„Aber wie ..?“ stammelte er fassungslos „… wie konnte das passieren?“
„Die Symptome weisen auf eine schwere Vergiftung hin. Hat Ihre Frau beruflich mit Chemikalien zu tun?“ 
„Ja mit Lösungsmitteln, beim Reinigen von Motorenteilen. Aber sie trägt doch immer Schutzhandschuhe und Atemschutz, da darf doch nichts passieren … Sie hat mir erzählt, dass ein Tank durchgerostet war und es ein riesen Theater deswegen in ihrer Abteilung gab. Das Mittel wurde aber umgepumpt und alles war in Ordnung …“
„ich werde mich gleich mit ihrem Abteilungsleiter in Verbindung setzten“ meinte der Oberarzt. „Vielleicht bekommen wir nähere Informationen, welcher Chemikalie sie ausgesetzt war. Sie können jetzt zu ihr, aber sie schläft …“  mit diesen Worten, drehte sich der Oberarzt zu der Schwester um, die eben den Gang entlang gelaufen kam „Herr Doktor, kommen Sie schnell, ein Notfall!“
Schon waren beide verschwunden.  Nachdem er einen bereitgelegten Einwegkittel und Mundschutz angelegt hatte, betrat er das Zimmer der Intensivabteilung. Seine Marie lag an ein Beatmungsgerät angeschlossen. Er hörte auf das gleichmäßige Zischen der Luft und das Piepsen des EKG
Er setzte sich neben Sie auf einen Stuhl und wartet …. und hoffte, dass sie die Augen aufschlagen würde. Er beobachtete wie die Flüssigkeit der Infusionsflasche langsam über die Leitung in Maries Arm floss. Die Augen blieben verschlossen. Er sah wie ihre Augen unter ihren Augenliedern wild hin und her gingen. Hilflosigkeit und Angst erfassten sein Herz. Er konnte überhaupt nichts tun, um ihr zu helfen.
So gingen rund drei Stunden ins Land und er saß immer noch neben dem Krankenbett, als die Schwester das Zimmer betrat. „Sie sind ja immer noch hier! Jetzt wird es aber Zeit für Sie zu gehen. Sie können Morgen ab 8:00Uhr wieder kommen.“ 
Er blickte ein letztes Mal zu Marie; doch die Augen blieben verschlossen.
Ohne Widerspruch verließ er das Zimmer und ging den langen Gang entlang.  
Kurz vor der Aufzugstür saß ein älterer Herr. Neben Ihm lag auf der Bank ein kleines Mädchen. Sie war eingeschlafen, doch sah man ihrem rotfleckigen Gesicht an, dass sie geweint hatte. Auch der Mann war eingenickt. In seinen Händen hielt er etwas Hölzernes fest umschlungen. 
Andreas drehte sich zu der Aufzugstür und drückte den Knopf, um den Aufzug anzufordern. 
Unten konnte man Stimmen hören. Es wurde wohl irgendetwas in den Aufzug gestellt. Die Stimmen wurden lauter. „Das geht so nicht!“ rief einer „Dann müssen wir über die Treppe!“ ein anderer. „Bist du verrückt“ meinte wieder der erste, „das Teil ist sau schwer!“ So ging es ein paar Mal hin und her. „Da nehme ich wohl besser die Treppe, das kann ja noch dauern,“ dachte Andreas bei sich drehte sich um und wollte eben die Türe zum Treppenhaus öffnen, als er neben sich etwas auf den Boden fallen hörte. Dem alten Mann war das hölzerne Etwas aus den Händen geglitten und auf den Boden gefallen. Andreas bückte sich, um es aufzuheben. 
Es war ein Holzkreuz, schon ziemlich abgegriffen.
Der Mann blickte auf, als Andreas ihn erreicht hatte und ihm das Holzkreuz entgegenstreckte.  „Vielen Dank, es gehört meiner Tochter,  Sie hatte einen Unfall, jetzt sitze ich hier mit der kleinen ….“  Es verschlug ihm die Stimme.
„Ihre Enkelin?“ fragte Andreas. 
 „Ja, sie hatte viel geweint und ist jetzt endlich eingeschlafen.“
Fast zärtlich legte er das Holzkreuz in die rechte Hand und strich mit dem Zeigefinger der linken Hand vorsichtig darüber. „Es hatte meiner Frau gehört. Kurz bevor sie starb gab sie es meiner Tochter. Jetzt habe ich Angst, dass mir sonst nichts mehr bleiben wird …“
„Ist es so schlimm?“ fragte Andreas
„Wir wissen nicht, ob sie die Nacht übersteht …“ 
Der Schmerz trieb ihm die Tränen in die Augen. Eine lief ihm über die Wange und tropfte auf das Holzkreuz in seiner Hand. Er beachtete die Träne nicht und strich weiter mit dem  Finger auf und ab.
Plötzlich faltete er die Hände um das Holzkreuz herum und fing an leise zu beten. 
Andreas fühlte sich fehl am Platze und ließ den alten Mann mit seiner Enkelin auf der einsamen Bank im Krankenhaus zurück. 
Verwirrt von dieser seltsamen Begegnung, ging er durch die Türe ins Treppenhaus. Unten angelangt waren immer noch die beiden Männer mit ihrem Schrank beschäftigt. Sie schienen ratlos, weil das Teil einfach nicht in den Aufzug passen wollte.
Er beachtete sie nicht weiter und ging nach Hause.  
Am nächsten Morgen stand er pünktlich um 8:00 Uhr wieder vor Maries Krankenbett. Das Beatmungsgerät war entfernt worden. Nur das Piepsen des Überwachungsgerätes war zu hören.
„Geht es ihr besser?“ fragte er die Krankenschwester, die eben den Raum betreten hatte, um nach dem Rechten zu sehen. 
„Es ist noch zu früh, um etwas zu sagen. Gegen 9:30h kommt der Arzt. Am besten Sie fragen Ihn“.
Damit ließ sie ihn stehen und huschte in das nächste Zimmer.
Andreas hatte Durst bekommen. Im Flur der Station hatte er einen Kaffeeautomaten gesehen. So ging er hinaus. Beim Aufzug saß wieder der alte Mann mit seiner Enkelin.
„Wie geht es Ihnen heute Morgen?“ rief ihm der alte Mann entgegen. Er klang heute viel gesicherter. Von der Verzweiflung des gestrigen Abends war nichts mehr zu spüren.
„Guten Morgen, geht es Ihrer Tochter besser?“ entgegnete Andreas.
„leider nicht“
„Sie klingen heute Morgen so entspannt und erleichtert, da dachte ich …“
„Es geht mir auch besser, ich habe meine Angst bei Jesus abgeladen ….“
„Bei Jesus abgeladen?“  Andreas war verwirrt. Er steckte ja in einer ähnlichen Situation, doch ihn drückte die Last so sehr, dass er kaum atmen konnte. Dass etwas anderes, als die Genesung seiner Marie etwas daran ändern könnte, war für ihn nicht vorstellbar. 
Der alte Mann bat ihn sich neben sich zu setzen. Andreas nahm Platz …
„Glauben Sie an Gott?“ fing der alte Mann an. Andreas zuckte mit den Schultern: „Eigentlich nicht. Aber ich habe mir bisher auch noch keine Gedanken darüber gemacht. In meinem Leben habe ich bisher noch keinen Gott gebraucht …. Und auch noch keinen gesehen“
„Aah“, entgegnete der alte Mann.  „Ein Vertreter der Gattung *Ich glaube nur das, was ich sehe*, stimmt’s?“
„Hm, ja schon …“
„Gut, dann schlage ich vor ich erzähle Ihnen etwas davon, wie ich in meinem Leben Gott *sehe*.“
Andreas nickte.  Das kleine Mädchen war aufgewacht und saß nun neben seinem Großvater. Sie hielt seine Hand und blickte verschlafen vor sich hin.
„Mit 14 Jahren wurde ich getauft und anschließend konfirmiert. Damit war ich in die Kirchengemeinde aufgenommen. Nur hat man als Junge von 14 Jahren noch andere Sachen im Kopf, als sonntags in die Kirche zu rennen und dem Pfarrer bei einer langweiligen Predigt zuzuhören. Ich nahm kaum mehr Teil am Leben der Kirchengemeinde. Wie andere ging ich in den Sportverein. Ich spielte Handball, hier in Magdeburg; und ich war ziemlich gut. Irgendwann wurden die Mädchen interessant. Nicht mehr wie früher zum Ärgern, sondern für ganz andere Sachen …“  Die beiden grinsten sich an. Sie wussten beide zu gut wovon er redete.
„Mit 19 Jahren lernte ich dann meine spätere Frau kennen und lieben. Wir heirateten und bekamen einen Sohn und zwei Jahre später unsere Tochter.“ Er wies dabei auf die Türe des Krankenzimmers hinter sich. Andreas nickte …
Als unser Sohn 8 Jahre alt war, wurde er plötzlich sehr krank. Die Ärzte konnten ihm nicht helfen. Alle waren ratlos. Wir waren verzweifelt. Und wie es so ist in der Verzweiflung: Man tut alles Mögliche, nur um nichts unversucht gelassen zu haben. So ging ich eines Sonntags, nach vielen Jahren wieder in die Kirche. Ich betete zu Gott, wie ich es beim Konfirmandenunterrichtgelernt hatte. Darüber hinaus betete ich für mich weiter, fing quasi mit Jesus ein Gespräch an. Ich erzählte Ihm von meinem Sohn und was er uns bedeutete. Ich bat ihn um Hilfe für unser Kind. War es Zufall oder Gottes Eingreifen … auf alle Fälle war unser Sohn am nächsten Morgen auf dem Weg der Besserung und keiner wusste warum.
Seit diesem Tag bin ich in Kontakt geblieben. Ich nahm Jesus nun von ganzem Herzen als meinen Bruder und Herrn an. Ich teilte ihm alles mit, was mein Leben belastete oder auch erfreute. Ich spüre seitdem immer seine Nähe und fühle mich geborgen bei Ihm.“
Andreas war erstaunt, mit wie viel Offenheit der alte Mann das erzählt hatte. Für das kleine Mädchen neben ihm war das Alles wohl nichts Neues, denn sie war keineswegs überrascht. Sie spielte mit einer kleinen Puppe, die sie aus ihrer Tasche gezogen hatte und beachtete die beiden nicht weiter.
„Ich sehe und spüre, dass Sie das Leid Ihrer Frau sehr bedrückt. Sie tragen viel Liebe für Ihre Frau in sich, so wie auch Jesus, die Liebe für uns in sich trägt. Wenn Ihnen die Last zu schwer werden sollte, können Sie ja auch einmal versuchen, ob Sie Jesus etwas von Ihrer Last abnehmen lassen können. Es tut auch nicht weh, und ich helfe Ihnen gerne dabei.“
Andreas kam nun jeden Tag in die Klinik, sah nach seiner Frau und sprach mit dem alten Mann. Er spürte wie er Tag für Tag ein wenig seiner Last abgeben konnte, abgeben an diesen Jesus, diesen Sohn Gottes, von dem der alte Mann erzählte. 
So überstand er die schwersten Tage seines bisherigen Lebens. Bereits am dritten Tag war seine Marie wieder ansprechbar. Die Schmerzen und die Krankheit waren Ihr noch immer ins Gesicht geschrieben. Wild wanderte ihr trüber Blick hin und her. Immer wieder wurde sie von Krämpfen geschüttelt. Er war bei Ihr, hielt ihre Hand; und wenn sie schlief, betete er ….
Seit sechs Tagen war Marie nun bereits im Krankenhaus. Als Andreas an diesem Morgen bei Ihr angekommen war, stand schon der Oberarzt bei ihr am Bett. 
„Kommen Sie ruhig herein“, winkte ihn der Oberarzt in das Zimmer. „Ich bin eben fertig mit der Untersuchung und habe eine gute Nachricht: „Ihre Frau wird wieder ganz gesund.“
„Gott sei Dank!“ Andreas war die Freude und die Erleichterung förmlich ins Gesicht geschrieben.
Nachdem der Arzt den Raum verlassen hatte, meldete sich Marie neckisch zu Wort: „„Gott sei Dank? Was sind das für Worte aus deinem Mund?“  Mit einem tiefen Blick in ihre Augen schmunzelte er.
„Es kommt sogar noch besser: In meinen Träumen, da hast du gebetet – ausgerechnet du!“
Da erzählte er Ihr von der Begegnung mit dem alten Mann und dem Trost, der Unterstützung und der Liebe, die er letztlich im Gebet gefunden hatte.
Etwas ungläubig hörte Marie ihrem Andreas zu: „Aber du hast doch immer gesagt, du glaubst nur was du siehst!“
„Natürlich! Ich kann glauben was ich sehe.  Wenn ich dich anschaue, sehe  ich unsere Liebe, sehe unsere Stärke, sehe ich unsere Zukunft!  Ich sehe all dies und bin mir jetzt sicher, dass ich das alles nur sehe weil Gott, weil Jesus uns, dir und mir, in dieser schweren Zeit Kraft gegeben hat …“  Er blickte dabei in Ihre Augen – in die Augen, die er so gut kannte, die Augen die so lange gehetzt und voller Schmerzen waren und nun voller Ruhe und Zufriedenheit strahlten. „Jetzt endlich sehe ich was ich glaube …“
Als er an diesem Abend unterwegs nach Hause war, fing es wieder an zu regnen. Er genoss die Abkühlung an diesem heißen Sommerabend und freute sich darauf seine Marie bald wieder nachhause führen zu können;  Marie mit Gottes Hilfe nach Hause und in ihr neues Leben führen zu können.
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Wie geht es uns dabei? Glauben wir nur das was wir sehen, oder wie der Apostel Thomas auch anfassen können?  Oder haben wir gelernt zu sehen was wir glauben;  haben wir gelernt zu erkennen, wo überall uns der auferstandene Jesus begegnet? In einem freundlichen Blick, in einer hilfsbereiten Hand … in einem persönlichen Gebet? 
Gott hat uns, seine Menschen, überall auf der Welt so unterschiedlich geschaffen.
Kein Mensch ist dem anderen gleich. 
Doch wir sind sein und er kennt jede und jeden von uns mit Namen. 
So hat er jede und jeden mit einem anderen Blickwinkel ausgestattet und hält für jede und jeden von uns einen ganz persönlichen Weg bereit, den wir nur noch zu erkennen  und einzuschlagen brauchen.  Einen ganz persönlichen Weg zu Jesus, dem auferstandenen Sohn Gottes unseres Bruders, unseres Heillands.
Amen
Es kennt der Herr die Seinen   358, 1-3 +6     

Sonntag, 15. März 2015

... fast wie "sterben, um zu leben"


  
Liebe Gemeinde,
Jesus war immer bereit Menschen zu empfangen, die nach ihm suchten. Doch im heutigen Predigttext hören wir davon, wie er nun an einem Punkt angekommen war, an dem es, wie wir heute sagen würden,
 „ums Ganze“ ging.

Ich lese aus Johannes 12, 20–26
Die Ankündigung der Verherrlichung
Es waren aber einige Griechen unter denen, die heraufgekommen waren, um anzubeten auf dem Fest. Die traten zu Philippus, der von Betsaida aus Galiläa war, und baten ihn und sprachen: Herr, wir wollten Jesus gerne sehen. Philippus kommt und sagt es Andreas, und Philippus und Andreas sagen's Jesus weiter. Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Zeit ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht. Wer sein Leben lieb hat, der wird's verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird's erhalten zum ewigen Leben. Wer mir dienen will, der folge mir nach; und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. Und wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren.
      
Jesus sah das Ende seines irdischen Lebens vor sich und wusste, dass diese vorerst letzten Schritte auf Erden eine schmerzvolle Erfahrung werden würden. Durch Schmerzen, Qual und Tod würde er hindurch gehen, hinein in ein neues Leben.
Schmerzen, Qual und Tod sind steter Begleiter auch in unserem Leben
…. und auch das Thema der nun folgenden Geschichte.

Es ist fast wie "sterben, um zu leben ..."
Abgehetzt sieht er aus.
Andreas sitzt am Schreibtisch, die Sonne ist längst untergegangen.
Sein großes Projekt,
die mit Schaubildern bunt bedruckten Papierseiten, die vor ihm liegen,
die Übersicht auf dem Monitor, alles beginnt vor seinen Augen zu verschwimmen.
„Bereiten Sie ihre Präsentation besonders gut vor.“ sagte sein Chef,
als er gegen 18:00 Uhr Feierabend gemacht und Ihn allein im Büro zurück gelassen hatte.
„ Der Kunde ist sehr anspruchsvoll, doch wenn er ihren Vorschlag annimmt, bringt das unser Unternehmen ein großes Stück weiter.
Wenn Sie Erfolg haben, dann bekommen Sie die Beförderung, die sie sich dann ja dann redlich verdient haben.“

 So klingt es noch in seinen Ohren.
Endlich, die Beförderung zum Greifen nah.
Endlich würde er den Erfolg und die Anerkennung erhalten, die ihm ja längst zustehen.
Endlich hätte er mehr Geld und könnte er seiner Familie mehr bieten.
Seine Familie …, traurig senkt er den Blick und reibt sich die brennenden Augen.
Die Kinder sitzen bestimmt mit ihrer Mutter beim Abendessen.
Es ist Freitagabend, eigentlich sollte er bei seiner Frau und seinen Kindern sein.

Sein Sohn Tobi, wollte ja heute bei seinem Freund Micheal übernachten. „Papa, bringst du mich?“ hatte Tobi noch gefragt.
Aber Vater hatte wieder einmal keine Zeit gehabt.
Der Drang nach Erfolg hält ihn fest. In seinem Inneren fühlt er eine Leere, ja ein Vakuum. Er versucht diesen „Unterdruck“ mit beruflichem Erfolg und Anerkennung auszugleichen.
Danach strebt er.
Dieser Erfolg und die Anerkennung waren zum Wichtigsten in seinem Leben geworden …
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„Was ist das für eine Musik?“ Andreas erwacht aus einem traumlosen Schlaf. Jetzt war er doch tatsächlich über der Arbeit eingenickt.
Die Töne kommen aus der Tasche seines Jacketts.
Mit Musik und dem leisen Brummen des Vibrationsalarms, holt ihn sein Handy in die Wirklichkeit zurück.
(ruhig bleiben)
Auf dem Display des Handys lächelt ihn eine Frau mit einem hübschen Gesicht an. Ein Gesicht, das ihm zum Liebsten auf der Welt geworden ist, das Gesicht seiner Frau.
Halbwach drückt er auf die grüne Taste, um das Gespräch anzunehmen und meldet sich mit einem müden „Hallo?“.
„Ist alles in Ordnung? – Ich habe mir schon Gedanken gemacht“ hört er die sorgenvolle Stimme seiner Frau.
„Ja, es ist alles gut. Ich bin auch gleich fertig und komme nach Hause.“
Die beiden verabschieden sich. Es ist nun schon 21:00Uhr, wie auch die letzten Tage davor.
„Den Rest erledige ich Morgen, von zuhause aus“, denkt er so bei sich und macht sich auf den rund einstündigen Heimweg.
Auf halber Strecke klingelt nochmals sein Handy. -- Wieder seine Frau. „Hallo Schatz, hast du noch etwas vergessen?“ fragt er sie liebevoll.
 „Wie lange brauchst du noch?“ Seine Frau klingt jetzt völlig aufgelöst „Du musst schnell kommen, Tobi ist verschwunden!“
„Wie, verschwunden ?“
 „Es war doch ausgemacht, dass Tobi bei seinem Freund Michael übernachtet. Eben haben Michas Eltern angerufen und gesagt, dass die beiden noch kurz mit dem Hund raus wollten und nun immer noch nicht zurück sind. Das war vor über einer Stunde.“
„Jetzt beruhige dich erst einmal. Es ist sicher alles in Ordnung. Es sind halt Jungs, die haben sicher nur die Zeit vergessen …“
Als er in sein Wohngebiet einbiegt, sieht er schon von weitem wie blaue Blinklichter den Nachthimmel erhellen.
Als er näher kommt erkennt er an der Durchfahrtsstraße einen Kleinbus, dessen Fahrt am dicken Stamm einer Kastanie ein jähes Ende gefunden hatte.
Er hält an. Als er gerade ausgestiegen ist, sieht er eine Notärztin, die hinter der Kastanie hervor tritt, gefolgt von zwei Sanitätern mit einer Trage. Seitlich daneben erkennt er eine Frau, seine Frau, die eine Infusionsflasche in Händen hält.
Fassungslos geht sein Blick von dem Kind auf der Trage zu seiner Frau und wieder zurück zu dem Kind. --- Zu seinem Kind.
„Was ist passiert?“
Der Junge wird in den Krankenwagen geladen, die Sanitäter und die Notärztin steigen ein. Die Türe des Rettungswagens wird geschlossen.
Er schaut zum Rettungswagen – bekommt keinen Ton heraus.
Seine Frau nimmt seine Hand. Er dreht sich zu ihr um.
 „Ein Entführung ..!“ Mit tränenerstickter Stimme erzählt Sie ihm was geschehen war.
Die beiden zehnjährigen Jungs waren mit Fips, Michaels kleinem Hund unterwegs, als neben ihnen ein klappriger Kleinbus stoppte und die seitliche Schiebetür aufging. Neugierig näherten sich die beiden dem Fahrzeug. Ein Mann saß auf der Rückbank, beugte sich nach vorne und sprach die beiden Kinder an: „Wir sind von der Polizei“ sagte er und deutete auf eine weitere Person, die am Lenkrad des Fahrzeugs saß.
„Euren Eltern ist ein Unfall passiert. Sie sind beide im Krankenhaus. Euer Vater hat uns geschickt. Er hat gesagt, dass ihr bei uns einsteigen sollt, damit wir euch zu ihnen bringen. Kommt, steigt ein!“
Dem kleinen Michael schossen sofort Tränen in die Augen.
Er war völlig aufgelöst und stieg in den Wagen.
 „Was ist genau passiert?“ wollte Tobi war wissen.
Das Ganze kam ihm seltsam vor. Immerhin waren Micha und er ja keine Geschwister; um wessen Eltern ging es hier eigentlich?
Michael hatte sich bereits dem Mann gegenüber hingesetzt, als Tobi mit dieser Frage den Mann überraschte. „Hatten Michas Eltern einen Unfall oder meine?“
Der Mann wirkte überrascht. Doch statt auf die Frage zu antworten, sagte er nun sehr energisch „Los komm steig schnell ein, wir haben nicht den ganzen Abend Zeit“.
Tobi war schlagartig klar, dass hier waren keinen Polizisten.
 „Micha, komm schnell raus, da stimmt was nicht!“
Tobi griff nach Michas Jackenärmel und versuchte ihn aus dem Wagen zu ziehen.
Fips begann zu bellen und machte einen riesen Rabatz.
Der Mann griff nach Tobis Arm und wollte ihn ebenfalls ins Fahrzeug ziehen.
„Los! fahr los!“ rief er dem Mann hinter dem Lenkrad zu.
Schon setzte sich der Wagen in Bewegung und Tobi versuchte sich aus der Umklammerung zu befreien.
Er rannte neben dem Fahrzeug her und riss und zerrte bis es ihm gelang aus seinem Jackenärmel zu schlüpfen. Dabei verfing er sich an der Türe des Wagens, stolperte und wurde mitgeschleift.
Plötzlich ein lautes Hupen, dann rumpelte es. Mit einem Ruck kam das Fahrzeug von der Fahrbahn ab, fuhr über den Grünstreifen und prallte gegen einen Baum.
Der Mann auf dem Rücksitz wurde aus der Seitentüre geschleudert und prallte hart gegen eine Gartenmauer.
Der Fahrer hinter dem Lenkrad war ebenfalls nicht angeschnallt und schlug mit dem Kopf gegen die  Windschutzscheibe. So hing er ohnmächtig über dem Lenkrad.
Micha saß starr vor Schreck auf dem Rücksitz und blickte auf seinen Freund Tobi, der wie tot, neben dem  Kleinbus auf dem Grünstreifen lag. 
Ein weiterer Mann kam plötzlich um den Baum herum, kniete sich neben Tobi in das nasse Gras und blicke zu Michael auf „Ist bei dir alles Ok?“ Micha hatte Tränen in den Augen und zitterte vor Aufregung. Micha nickte.
 „Gut“, sagte der Mann und kümmerte sich um Tobi.
Der Junge sah übel aus: Das Gesicht zerkratzt, die Lippen blutig, eine Platzwunde am Kopf.
All dies konnte man schon mit dem ersten Blick feststellen.
 „Nein, er ist nicht tot!“ antwortete der Mann auf die fragenden Blicke Michaels, „aber er braucht dringend einen Arzt“.
Der Mann wählte den Notruf und meldete den Unfall.
Dann versorgte er die stark blutende Wunde am Kopf und wickelte den Jungen in eine Decke ein, um ihn vor der Kälte zu schützen.
Kaum war er damit fertig, hörte er auch schon die Sirenen der Rettungswagen.
Er hatte drei Verletzte gemeldet: Zwei Männer und einen Jungen.
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Auf dem Weg ins Krankenhaus hört sich Andreas die Geschichte ungläubig an. Dabei starrt er stumm auf den Rettungswagen, der vor ihnen herfährt.
(ruhig bleiben)
„Wäre dieser andere Mann nicht gewesen, der die Entführung beobachtet hat. Hätten wir unser Kind verloren. Er hat den Wagen von der Straße gedrängt und so aufgehalten.“ Erzählt seine Frau weiter, „Die beiden Entführer wurden von der Polizei gesucht. Sie gehören zu einem Kinderpornoring…“
Sie kann nicht mehr weitersprechen, zu tief sitzt der Schock und das Erschrecken darüber was ihrem kleinen Jungen zugestoßen war und noch hätte zustoßen können.
Auch Andreas ist tief verletzt. Er fühlt sich leer und tot - wie ein welkes Blatt das vom Herbststurm hin und her geschüttelt wird.
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Durch den Schock und die Angst um sein Kind, war sein „Innerstes Ich“ wie tot. Gestorben zusammen mit der Selbstverständlichkeit mit der er all das wirklich Wichtige seines Lebens, seine Frau, seine Kinder betrachtet hatte. Nichts von dem, was ihm vor wenigen Stunden noch so viel bedeutete, seine Arbeit, seine Kariere, sein Erfolg … Nichts von alledem hat jetzt noch Gewicht. Alles was zählt ist der kleine Junge, sein kleiner Junge, der da vor Ihm im Krankenwagen liegt.
Die Eltern verbringen die Nacht in der Klinik bei ihrem Kind
Am frühen Morgen erwacht Andreas als neuer Mensch.
Der neue Andreas will nun mehr aus seinem Leben machen.
Statt den Erfolg im Beruf zu suchen,
statt dem Aufstieg in seinem Job hinterher zu hetzen,
statt unendlich viel Zeit mit Firmen-Projekten zu verbringen,
will er sich dem wichtigsten Projekt seines Lebens, der Liebe zu seiner Familie widmen. Der Liebe zu seiner Frau und seinen Kindern.
Er erinnert sich an seine Jugend.
Erinnert sich wie das damals für ihn war.
Er sehnt sich nach dem Gefühl von damals. Sein Vater war Pfarrer gewesen.
Es gab eine Zeit in der er als junger Christ noch Zufriedenheit im Wort Gottes fand. Aber wie bei vielen anderen jungen Menschen, wollte auch Andreas selbstbestimmt ein eigenes Leben führen. Er wählte einen Weg abseits von dem was er kannte.
Andreas erinnerte sich an die Geschichten, die sein Vater ihm erzählt hatte. Die Gleichnisse Jesu gefielen ihm damals besonders gut. Die Geschichte vom Sämann und auch der Vergleich Jesu als Weizenkorn, das in die Erde gelegt wird.
Dieser Jesus von Nazareth, ist gestorben und wurde wie ein Samenkorn in die Erde gelegt. Aus ihm wurde die große Frucht, die frohe Botschaft, die für so viele Menschen auf der Welt zur Lebensfrucht geworden ist.
Andreas will wieder teilhaben an dieser Frucht, dieser Lebensfrucht.
Durch seinen „Tod im Inneren“, durch das schmerzhafte Loslassen seines bisherigen alten Lebens, fühlt er sich befreit und wieder ein Stück näher bei Christus.
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Am frühen Morgen geht Andreas Kaffee holen. Am Kaffeeautomat macht sich mit leisem Brummen sein Handy bemerkbar. Er schaut auf das Display. Es ist sein Chef, der sicher wichtiges zu sagen hat. Andreas drückt auf den Knopf, doch dieses Mal auf den roten, um das Gespräch abzuweisen.
Er schreibt ihm noch kurz einen Nachricht: „Mein Kind braucht mich jetzt …“ Anschließend schaltet er das Handy ab.
Mit dem Bild seines kleinen Tobi vor Augen,
seines kleinen Kindes das er beinahe verloren hätte,
kann er sich jetzt unmöglich diesen „Belanglosigkeiten“ widmen, die ja gestern noch sein Leben bestimmt hatten und die Leere, die er in sich spürte,  füllen sollten.
Soweit unsere Geschichte ….
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Wie geht es uns dabei?
Natürlich ist da Mitgefühl für die Kinder und die Eltern.
Betroffenheit und Angst.
Wut auf die Entführer.
Dankbarkeit für die Retter.
Doch wie ist es mit Andreas?
Fühlen auch wir manchmal so ein Vakuum in uns selbst?
Fühlen wir auch den Zwang dieses Vakuum ausfüllen zu müssen?
Ausfüllen durch den Kauf des 10.ten Paars Schuhe,
des modernsten Handys,
des neuesten Luxusautos oder,
wie bei Andreas, durch beruflichen Erfolg, Anerkennung und Verdienst?
Und wenn wir das getan haben, fühlen wir uns dann satt?
Irgendwie scheint dieses Vakuum unersättlich zu sein. Ganz egal womit wir ausgleichen und auffüllen möchten, es bleibt immer ein Sog, ein Drang mehr in sich aufzunehmen. Nach dem Erfolg kommt ein kurzes Glücksgefühl. Doch danach kommt es wieder, das Gefühl des inneren Vakuums.
Andreas hatte erkannt womit sich diese Leere füllen, dieser Hunger dauerhaft stillen läßt.
Er erkannte den wahren Wert des Lebens;
doch erst durch den Beinahe-Verlust seines Kindes. Ein solches Erlebnis prägt …
So stellt sich natürlich die Frage: Muss ich so einen Schicksalsschlag erleben, um zu erkennen, was wirklich wichtig ist in meinem Leben?
Nein, man muss so Etwas nicht unbedingt erleben, allein der Gedanke daran genügt oft schon.
Es genügt völlig wenn man sich das „Was-Wäre-Wenn?“ intensiv vor Augen hält.
Wenn Sie sich das „Was-Wäre-Wenn?“ vorstellen würden.
„Was-Wäre-Wenn?“ das Kind, das unangeschnallt eben noch auf der Rückbank des Autos gespielt hat,
unangeschnallt, weil wir es wegen einem dringenden Termin wieder einmal eilig hatten, wenn dieses Kind nun bei einer Vollbremsung durch das Fahrzeug geschleudert wird? -  Welcher Termin kann so dringend sein?
                                                                     
„Was-Wäre-Wenn?“ sich die eigenen Kinder eine „neue Familie“ auf der Straße in Straßengangs suchen, weil man selbst ständig keine Zeit für sie hat? - Was kann so wichtig sein?
„Was-Wäre-Wenn?“ uns die Endlichkeit des Lebens völlig unerwartet trifft und der geliebte Mensch an unserer Seite plötzlich nicht mehr da wäre?
Wäre es da nicht besser gewesen, auch einmal „nein“ zu sagen und nicht für diese Organisation oder jenen Verein das ganze Wochenende unterwegs zu sein?
Allein das Bedenken dieser und vergleichbarer „Was-Wäre-Wenn?“ kann selbst zu einem kleinen „inneren Tod“ des „alten Ichs“ werden, aus dem  ein „neues Ich“ erwachsen kann.
Es ist fast wie „sterben, um zu leben“.
Ein „neues Ich“, das ein neues Leben bedeutet.
Ein neues Leben, das tausendfach Lebensfrucht bringt.
Lebensfrucht für unsere Familie, Lebensfrucht für unsere Mitmenschen und Lebensfrucht für uns selbst.
So galt es nicht nur für Jesus, sondern gilt auch uns heute hier in Hoheneck:
Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.
Amen
               
Fürbittengebet
Ausgesät hast du dein Wort, Gott, – in die Welt:
Dich selbst hast du als Weizenkorn in die Erde gelegt,
dass es Frucht bringe – auch in uns.
Gott, gib uns die Zuversicht Jesu,
die nicht auf das Risiko sieht
sondern mit der Ernte rechnet.
Die nicht fragt, was bekomme ich,
sondern sich an der Frucht freut.
Gott, für alle Menschen bitten wir dich:
lass Sie teilhaben am Leben.
Wir bitten dich für die Verirrten in unserer Gesellschaft, die durch Ihre Zwänge anderen Schaden,
sei es durch Terror, sei es durch rücksichtsloses Erfolgsdenken, öffne ihnen das Herz, dass sie deinen Weg der Liebe einschlagen mögen.
Öffne auch das Herz all derer, die durch ihre sexuelle Neigungen die kleinsten und hilflosesten deiner Geschöpfe, unsere Kinder so schlimm leiden lassen.. Es gibt das Angebot der Kinderpornografie doch nur, weil es Männer und Frauen gibt, die es nutzen und viel Geld dafür bezahlen.
Lass sie erkennen, dass hinter jedem heruntergeladenen Bild, hinter jedem Video schlimme Schicksale stehen.
Hilflosigkeit, Angst und Schmerzen, sind der Preis, den diese Kinder bezahlen müssen
Öffnen all denjenigen das Herz und lass Sie erkennen, dass sie selbst Hilfe brauchen, um nicht länger andere leiden zu lassen.
Für die betroffenen Kinder bitten wir. Befreie Sie aus der Gewalt ihrer Peiniger. Stelle den Kindern Menschen an die Seite, die sie mit Behutsamkeit und Liebe wieder in ihre natürliche, kindliche Welt zurückführen.
Für ihre Peiniger bitten wir, lass sie das Falsche in Ihrem Tun erkennen, lass ihr altes rücksichtsloses Ich sterben und schenke ihnen ein neues Ich, ein neues Leben – Ein Leben das Frucht bringt, statt Verderben.

Wir bitten dich für deine Kirche in der Welt.
Lass sie für deine Liebe eintreten,
für Barmherzigkeit mit den Schwachen,
für Behutsamkeit mit den Kranken.
Und gib ihr Mut, denen zu widersprechen,
die allzu sicher wissen, was recht ist.
Und Gott, wir bitten dich:
Erbarme dich deiner Schöpfung und aller Kreaturen,
dass das Leid abnehme,
dass der Frieden erhalten werde;
der Liebe mehr zugetraut werde als dem Hass.
Du bist allein der Herr.
Darauf vertrauen wir und beten gemeinsam:

Vater unser …..